Illustration zu „Reineke Fuchs“ von Wilhelm von Kaulbach |
Heiter konnten sich die Mitglieder des Berliner Bibliophilen Abends und ihre Gäste kurz vor Pfingsten auf das "liebliche Fest" in einem Vortrag von Dr. Fritz Jüttner über Goethes "Reineke Fuchs" in Jüttners Sammlung einstimmen. Die Sammlung - in einer Fülle schöner Bücher vorgestellt - ist ein Nebenergebnis Jüttnerschen Sammeleifers zu Zeugnissen der großen deutschen Literatur des 18.Jahrhunderts, dessen wichtigste Frucht eine umfangreiche Klopstock-Sammlung ist. Ein Jubiläum war zu feiern: der 215. Geburtstag des Goetheschen Tierepos, das im Mai 1794 erstmalig als Band 2 von Goethes "Neuen Schriften" bei Johann Friedrich Unger in Berlin erschien. 215 ist das Produkt aus den Primzahlen 43 und 5, und - Welt der Bücher - Welt der Wunder! - Goethe war genau 43 Jahre und 5 Monate alt, als er im Januar 1793 mit der Arbeit am "Reineke Fuchs" begann!
Goethes Hexameter-Epos ist der berühmteste, verbreitetste Text, in dem die mittelalterliche Fabeldichtung vom listenreichen, am Ende triumphierenden Bösewicht im Reich der Tiere fortlebt. Zu den Werken, die der Vortragende vorstellte, gehörte auch Gottscheds 1752 erschienene Ausgabe und hochdeutsche Prosaübersetzung des niederdeutschen Epos mit den Kupfern von Allaert van Everdingen, Goethes Vorlage für seine Dichtung, Den Ungerschen "Reineke"-Band von 1794 zeigte Jüttner in drei Exemplaren, die den Originaldruck (N bei Waltraud Hagen) und die Doppeldrucke Nl und N2 repräsentieren, dazu die erste Einzelausgabe des Goetheschen "Reineke" - aus den nicht verkauften Exemplaren des Drucks M2 1822 von F.A. Brockhaus in Leipzig in den Handel gebracht. Aus den wichtigen Goethe-Werkausgaben, die zu Goethes Lebzeiten bei Cotta erschienen, von der dreizehnbändigen A (1806 - 1810) über die zwanzigbändige (1815 - 1819) (Drucke B und B2) bis zur Ausgabe letzter Hand ab 1827 (Taschenausgabe C1 und Großoktav-Ausgabe C3) stellte der Referent die jeweiligen Bände vor, die den "Reineke" enthalten, Band 40 (1830) der Ausgabe letzter Hand mit dem Kupferstich zu "Reineke" von Schwerdgeburth nach dem Bild von Johann Heinrich Ramberg.
Der "Reineke Fuchs" war Goethes erstes Epos, in dem sich der Dichter in der Verwendung des Hexameters in der deutschen Sprache erprobte. Deshalb ergänzten den Vortrag Werke aus der Sammlung Jüttner zum Hexameter im Deutschen des 18.Jahrhunderts: Dichtungen und theoretische Abhandlungen von Klopstock und Johann Heinrich Voß sowie Goethes "Hermann und Dorothea", sein zweites großes Hexameter-Epos.
Breiten Raum im Vortrag nahmen die von Wilhelm von Kaulbach kongenial illustrierten Ausgaben des "Reineke Fuchs" ein, trugen Kaulbachs Bilder doch wesentlich dazu bei, Goethes Epos zu einem Volksbuch werden zu lassen. Jüttner zeigte die Folio-Erstausgabe mit Kaulbachs Bildern von 1846 mit den Stahlstichen von Rahn und Schleich nach Kaulbach in drei Exemplaren: eines mit der Verlagsangabe "Stuttgart und Tübingen: J.G. Cotta'scher Verlag", ein zweites mit der Verlagsangabe "München: Verlag der Literarisch-artistischen Anstalt" und ein drittes im Urzustand der einzelnen Lieferungen in den Original-Umschlägen des Verlags der Literarisch-artistischen Anstalt mit dem Subskriptionsprospekt vom September 1846, der Anzeige des prächtigen "Reineke Fuchs"-Verlagseinbands "in Kalbleder, roth, blau, grün, erdfarben" vom September 1847 und dem seltenen "Register der Stahlstiche für den Buchbinder" in der letzten, der zwölften Lieferung. Natürlich sahen wir auch die Cottasche Quart-Ausgabe von 1857 mit den Holzstichen von Allgaier und Siegel nach Schnorr, der Kaulbachs Illustrationen auf Holz gezeichnet hatte, und mancherlei spätere Ausgaben mit Kaulbachs Bildern, darunter eine aus "Schroedels Jugendbüchern", die den Referenten in früher Kindheit auf den Reineke-Pfad gelenkt hatte, und eine andere, 1982 im Berliner Verlag der Nation zu Goethes 150. Todestag erschienen.
Von den späteren Illustratoren des Goethe-Epos, die den Referenten und die Zuhörer gleicherweise erfreuten, seien Franz Stassen, Walther Klemm, Josef Hegenbarth, A. Paul Weber, Fritz Eichenberg genannt. Die Bilder von Michael Matthias Prechtl erschienen im Goethe-Jahr 1999 in den "Reineke"-Ausgaben der Büchergilde Gutenberg und des Verlags C.H. Beck in München. Da jede dieser ansonsten identischen Ausgaben einen eigenen illustrierten Schutzumschlag besitzt - einmal den alten, einmal den jungen Goethe im Fuchspelz zeigend -, erwarb sie Jüttner beide und konnte sie dem erfreuten Auditorium zeigen. Als neueste hervorragende Publikation des Goethe-"Reineke" hob er den 2008 bei Hanser erschienenen Band mit Illustrationen von Dieter Wiesmüller hervor. Wie Kaulbach seine Figuren mit Eigenschaften seiner Zeit, seiner Zeitgenossen ausgestattet hat, so versetzen Wiesmüllers wunderbare Bilder Goethes Fabelwelt genial in unsere Zeit, ins beginnende 21. Jahrhundert.
Jüttners Sammlung konzentriert sich auf "Reineke Fuchs" aus der Feder von Goethe. So will sie in keiner Weise mit den berühmten großen Sammlungen zum Reineke in der Weltliteratur konkurrieren, wie wir sie von Hubertus Menke, Herbert Kirmse oder unserm Berliner bibliophilen Freunde Otto Gransitzki kennen. Dennoch blieb es nicht aus, dass auch Jüttner so manche andere Bearbeitung des Stoffes - etwa von Gotthold Oswald Marbach, Karl Simrock oder Julius Eduard Hartmann - besitzt: Marbachs Text erschien erstmals 1840 mit den vorkaulbachschen Reineke-Holzschnitten von Ludwig Richter; Simrock wurde einbezogen, weil 1947 in Basel eine Ausgabe seiner Nachdichtung mit den Kaulbach-Illustrationen erschien; Hartmanns Text zierten 1855 die - von Cotta als Kaulbach-Plagiat befehdeten - Illustrationen von Heinrich Leutemann, die der Verleger Payne später auch Goethes Dichtung beigesellte.
Als besonderen Schatz zeigte der Referent Franz Fühmanns "Reineke Fuchs" mit den Illustrationen von Werner Klemke. Wir gedenken in diesem Jahr des 25. Todestages von Fühmann und des 15. Todestages von Klemke. Das Exemplar von 1982 hat Werner Klemke mit einer Handzeichnung für Fritz Jüttner geschmückt, und die erste Ausgabe von 1964 konnte Jüttner unlängst ebenfalls in einem Klemke-Widmungsexemplar erwerben.
Der Abend endete mit einer besonderen Freude für den Referenten: Bernd Illigner, der Vorsitzende des Berliner Bibliophilen Abends, beschenkte ihn mit dem Werk "Von dem Fuchs Reinart", der neuhochdeutschen Reimfassung der mittelniederländischen "Vos Reynard"-Dichtung aus dem 13. Jahrhundert, die Philipp Poeth 2005 in der Edition Octopus, Münster, publizierte. Das Exemplar mit handschriftlichen Eintragungen Philipp Poeths ist reich geziert mit den meisterhaften "Renart"-Holzschnitten des belgischen Künstlers Gerard Gaudaen. So war Jüttners Sammlung reich am Beginn des Vortrags, reicher an seinem Ende: Welt der Bücher - Welt der Wunder...!
(Fritz Jüttner)
Heimatmuseum Charlottenburg, Schloßstr. 69, Berlin-Charlottenburg
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